„Ohne Gott gibt es keine Moral!“ Seitens selbsternannter Moralapostel aller Weltreligionen wird dieser Slogan seit jeher gebetsmühlenartig als nicht hinterfragbare Gesetzmäßigkeit in die Köpfe der Menschen eingehämmert. Als vermeintliche Beweise für diese These werden Leid und Schrecken aufgeführt, welche beispielsweise die nationalsozialistischen und stalinistischen Terrorregime des letzten Jahrhunderts über die Menschheit gebracht haben. Schuld sei die „Gottlosigkeit“ dieser Ideologien gewesen, ihr Atheismus. Bewusst außer Acht gelassen wird dabei aber, dass der vermeintliche Atheismus der Führungspersonen dieser Ideologien mit deren Unmenschlichkeit in etwa genau so wenig zu tun haben wie ihre Schnurrbärte. Nicht der Atheismus, sondern der Stalinismus war für die Schrecken verantwortlich, und auch nicht der Atheismus, sondern der Nationalsozialismus. Dabei sei anzumerken, dass sich Hitler als gläubiger Christ verstand und die katholische Kirche mit dem Naziregime kooperierte.

Atheismus hat noch keinem Menschen etwas zu Leide getan. Wie könnte er auch, schließlich besagt er lediglich, dass es mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit keine Götter gibt. Die Religionen hingegen haben die Menschen seit jeher aufgrund von märchenhafter Wahrheitsempfindungen gespalten und gegeneinander aufgehetzt. Obgleich es sicherlich sehr viele religiöse Menschen gab und gibt, denen gute Absichten zugesprochen werden müssen, wurde im Namen der Religion und seitens religiöser Institutionen, allen voran der katholischen Kirche, Unterdrückung, Verfolgung, Misshandlung, Folter und Massenmord systematisch und in unfassbaren Ausmaßen angeordnet und ausgeführt. Dies zum Teil auf der Grundlage derselben religiösen Texte und Dogmen, die Kindern heute im Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als Quelle für "Moral" vermittelt werden. Religion hat die Menschheit noch nie weitergebracht; im Gegenteil, wissenschaftliche, zivilisatorische und ethische Fortschritte mussten im Laufe der letzten zwei Jahrtausende stets gegen den Willen der Religionen durchgesetzt werden.

Neben diesen Defiziten disqualifiziert sich die Religion vor allem auf Grund ihrer elementarsten Aussagen als mögliche Quelle für Ethik. Diese Aussagen bestehen in ihrer Jenseitslastigkeit: wünschenswerte Wertvorstellungen, eben solche, die ein Leben in Würde ermöglichen, können nicht aus dem erkenntnisfernen Bereich von Glaubensvorstellungen und religiöser Märchen abgeleitet werden, sondern bedürfen einer Ableitung aus jenem Subjekt, für das sie gelten sollen. In anderen Worten: gültige und dem Menschen dienliche Werte können nur aus dem Wesen des Menschen selbst abgeleitet werden und nicht aus dem Wesen religiöser Phantasieprodukte.

Im Gegensatz zu religiösen Wertvorstellung, die jeweils aus unterschiedlichen, konkurrierenden religiösen Überzeugungen abgeleitet werden, sind einzig und alleine Wertvorstellungen auf der Grundlage eines naturwissenschaftlichen Menschenbildes dazu in der Lage, die menschlichen Bedürfnisse in ihrer Wirklichkeit zu erfassen, ihnen dienlich zu sein, den menschlichen Ansprüchen auf Selbstbestimmung und Gerechtigkeit nachzukommen und somit die Gesellschaft im Inneren zusammen zu halten.

Deshalb sollten wir auf unsere Vernunft hören und nicht auf die phantastische Stimmen diffuser Göttervorstellungen! Mit Vernunft nämlich können wir das menschliche Wesen erfassen, mit Vernunft vermögen wir aus diesem Wesen Wertvorstellungen abzuleiten, und mit Vernunft sind wir in der Lage, diesen Werten zu folgen.

Ein Weltbild, das diese Philosophie umrahmt, kennt zwei symbiotische Komponenten:

1. Ein naturwissenschaftlich begründeter Atheismus bzw. Agnostizismus, der religiöse Märchen entzaubert und Dogmen demontiert;

2. Ein darauf aufbauender Humanismus, dessen Ethik im Diesseits und nicht im Jenseits verankert ist.

„Humanism is a naturalistic view, encompassing atheism and agnosticism as responses to theistic claims, but is an active and ethical philosophy greater than these reactions to religion.“ (British Humanist Association)

Als mögliche Grundlage einer humanistisch-atheistischen Ethik bzw. als Inspiration für eine solche kann – als Gegenentwurf zu den biblischen 10 Geboten – Michael Schmidt-Salomons Entwurf der 10 Angebote des evolutionären Humanismus betrachtet werden. Sie sind strikt diesseitsbezogen und sehen den Menschen als Menschen und nicht als Schöpfung eines imaginären höheren Wesens.

Wie notwendig die philosophische Aufbereitung und Artikulation einer solchen Ethik auch in Luxemburg ist, zeigt sich vor allem anhand gesellschaftspolitischer Konflikte, wie zuletzt zum Beispiel die Debatte um die Depenalisierung der aktiven Sterbehilfe.